Musiklernen basiert auf Handeln. Was ist dann aber mit der Sprache? Der Musikunterricht ist doch auch immer eine Frage der Kommunikation und der verbalen Verständigung. Musik selbst ist doch mit natürlicher Sprache verwoben und Musik kann man doch auch in gewisser Weise verstehen, oder?

 

Unsere Sichtweise des Musiklernens hat sich aufgrund neuer Erkenntnisse der Lernforschung verändert. Frühere Ansätze gingen von einer sprachähnlichen Codierung des Denkens aus. Neuronale Netzwerke sind jedoch nicht in „Sprache“ organisiert, sondern über Vektoren. Prototypen bezeichnen sozusagen imaginäre Fluchtpunkte der Vektoren. Wichtig ist dabei für uns aus pädagogischer Sicht, dass Lernen in neuronalen Netzwerken nicht auf Regeln basiert, sondern aufgrund vielfältiger Beispiele in Gang kommt. Der Prototyp „Durtonleiter“ ist dann nicht die Folge eines Regelerwerbs (zwei Tetrachorde, getrennt durch einen Ganzton), sondern das Resultat vielfältiger Beispiele und wahrgenommener Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede.

 

Musiklernen basiert auf der Wahrnehmung von Beispielen, nicht auf dem Erwerb von Regeln. Entsprechende Beispiele für Musik sind hörbarer Art. Beispiele beschränken sich natürlich nicht nur auf Tonträger, sondern können auch musizierende Mitschüler*innen oder Lehrer*innen sein. Das musikbezogene Miteinander ist ein unendlicher Quell für potentielle Lernsituationen. Dabei erstaunt es nicht, dass Jugendliche als wesentliches Ziel ihres Übens das gemeinsame Musizieren nennen.

 

Wir begegnen hier zwei Seiten des Musiklernens. Einerseits einem Lernen, dass jenseits von Sprache stattfindet. Auf der anderen Seite ein Lernen in sozialen Bezügen, was zweifellos auf Sprache zurückgreift. Nun stellen diese zwei Aspekte des Lernens für uns keine Gegensätze dar, sondern bilden eher die zwei Seiten einer Medaille. Kennengelernt haben wir diese Aspekte bereits bei der musikalischen Wirklichkeit als ein Denken in Musik (Subjektebene) und ein Denken über Musik (Objektebene). Dem Denken in Musik entspricht ein Begreifen, also ein Lernen an Beispielen und der Aufbau von Prototypen. Das Begreifen ist die Grundlage für die Begriffsbildung und für das Denken über Musik. Verstehen wäre dann ein Akt der sozialen Orientierung auf der Objektebene.

 

Musiklernen meint das interdependente Wechselspiel aus Begreifen und Verstehen. Denken in Musik (Begreifen) liefert das eigentliche musikalische Substrat, was durch das Denken über Musik erst einer Kommunikation und somit einem weiteren Lernen in sozialen Bezügen zugeführt wird. Für den Musikunterricht halten wir fest: Musik lernen wir nicht nach Regeln, sondern aufgrund von vielfältigen Beispielen. Regeln können auf diesen Erfahrungen aufbauen, wenn es keine Leerformeln bleiben sollen. Musikunterricht bietet beste Voraussetzungen für Musiklernen, wenn die Chancen gemeinsamen Lernens genutzt werden. Das Verstehen (Denken über Musik) ist dabei ein notwendiger Akt der sozialen Orientierung. Die Basis bildet aber das Handeln und Begreifen (Denken in Musik), denn Musik lässt sich nun mal nicht herbei reden.