Musikdidaktiken unterscheiden sich oft schon durch grundlegende Vorstellungen von Musik. Ältere Konzepte verließen sich auf das Verstehen von Musikwerken. Es folgten Konzeptionen, die die Schüler*innen und ihren Musikgeschmack mehr am Musikunterricht beteiligen wollten. Doch was ist eigentlich Musik? Die Frage ist alles andere als einfach und lässt sich scheinbar nicht endgültig klären. Vielleicht gehen deshalb neuere musikdidaktische Ansätze einer Antwort aus dem Weg oder bleiben im Musikbegriff vage.


Der Musikbegriff spielt nicht nur in Theorien über Musikunterricht eine Rolle. Er ist prägend für die Praxis des konkreten Musikunterrichts vor Ort. Wir behaupten: Musikunterricht wird in hohem Maße durch den Musikbegriff der Lehrenden geprägt. Damit ist nicht nur der Musikgeschmack einer Musiklehrkraft gemeint, welcher vielleicht lieber klassische oder doch eher populäre Musik hört. Entscheidend sind grundsätzliche Vorstellungen der Lehrenden über die „Musikalische Wirklichkeit“.

 

Zur Beschreibung eines möglichst widerspruchsfreien Gesamtbilds von Musik, Musiklernen und Musiklehren wählen wir einen konstruktivistischen Ansatz. Der (gemäßigte) Konstruktivismus hat sein integratives Potential in musikpädagogischen Bezugsdisziplinen (Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Philosophie usw.) bereits mehrfach bewiesen. In der Musikalischen Wirklichkeit unterscheiden wir idealtypisch drei untrennbar miteinander verbundene Ebenen:

 

Die Materialebene der musikalischen Wirklichkeit (vgl. Kapitel 1.1) meint die Reizgrundlagen der Musik. Schallwellen tragen zu einer Situation bei, in der wir unser Musikerlebnis ursächlich der Umwelt zuschreiben können. Die Materialebene ist damit eine wichtige Komponente musikalischer Wirklichkeit, aber sie ist nicht die Ebene, auf der sich das Phänomenale der Musik verorten lässt. Die Objektebene musikalischer Wirklichkeit (vgl. Kapitel 1.2) meint das Denken über Musik. Dieses ist in Sprache verfasst und vielfältig mit Kultur verwoben. Ob etwas Musik sein soll, heißt allerdings noch lange nicht, dass daraus wirklich Musik wird. Die Subjektebene der musikalischen Wirklichkeit (vgl. Kapitel 1.3) ist der Ort der Entscheidung zwischen Musik und Nicht-Musik. Erst wenn das Subjekt in Musik denkt, ist es „Musik“ im eigentlichen Sinne. Damit geht der Subjektorientierte Musikunterricht noch einen Schritt weiter als der schülerorientierte Musikunterricht. Subjektorientierter Musikunterricht meint die Schüler*innen in ihrem Denken in Musik.

 

Das Denken in Musik ist der Dreh- und Angelpunkt des Musiklernens und Musiklehrens. Leider ist das Denken in Musik nicht direkt kommunizierbar. Wir können auch unsere Gefühle nicht anderen so vermitteln, dass unser Gegenüber tatsächlich dasselbe empfindet. Für ein Miteinander müssen wir die Subjektebenen in einer musikbezogenen Situation gegenseitig erfahrbar machen. Dies gelingt uns am ehesten über die Situationsmerkmale, die sich durch die Material- und Objektebene ergeben. Das führt uns zum Musiklernen (vgl. Kapitel 2) und Musiklehren (vgl. Kapitel 3).